Harmonisches Ende mit Urgestein Otis Tayler
Schöppingen - Es beginnt mit einem Flummi: Nina Attal hüpft in überdimensionalen quietschgelben Turnschuhen über die Bühne, singt, tanzt und lacht. Es endet mit einem Bären: Gemütlich schreitet Otis Taylor von einem Bandmitglied zum nächsten, spielt Banjo, Gitarre oder Mundharmonika.
45 Jahre Lebenserfahrung liegen zwischen Nina Attal und Otis Taylor. Dass die 18-jährige Französin mit ihrem ersten Auftritt in Deutschland den zweiten Festivaltag eröffnet, den Otis Taylor rund neun Stunden später beschließt, macht die Bandbreite des Festivals deutlich.
Richard Hölscher macht darauf in seinen Ansagen fast schon rechtfertigend aufmerksam, wirbt beim gereiften Blues-Publikum geradezu um Verständnis. Doch das ist gar nicht nötig. Im Gegenteil: Gerade die Jüngsten - neben Attal die Holländer De Wolff - sorgen für Begeisterungsstürme.
Nachdem Attal und ihre sechsköpfige Band samt Saxofon, Trompete und Posaune gezeigt haben, wie erfrischend Funk- und Souleinflüsse auf den guten alten Blues wirken, präsentieren De Wolff eine eindrucksvolle Rolle rückwärts. Robin Pico lässt einen Klangteppich aus seiner Hammond-Orgel fließen, in den Schlagzeuger Luka van de Pol seine Beats tackert. Sein Bruder Pablo bereichert das psychedelische Gesamtkunstwerk mit Stimme und Gitarre. Fans, die von der guten alten Zeit mit Cream und den Doors träumen, haben Freudentränen in den Augen.
Meena Cryle sagt ihrem Publikum gleich, was sie von der Diskussion hält: „Alles ist Blues, solange es von Herzen kommt und mit Leidenschaft gespielt wird.“ Ihrer klaren Ansage lässt die Österreicherin Taten folgen, singt mit Inbrunst und beeindruckender „Röhre“. Das Gitarrenspiel von Chris Fillmore setzt dem das Sahnehäubchen auf.
Sonny Landreth, der Gott der Slide-Gitarre, lebt beim Auftritt seine Leidenschaft für Spieltechnik aus. Vom soliden Fundament, das seine Band ihm mit Schlagzeug und Bass bereitet, hebt er mit jedem Song ein Stückchen weiter ab, bis er schließlich im Blueshimmel auf dem Planeten Sonny angekommen scheint.
Urgestein Otis Tayler schließlich erweist sich als Mann für den zweiten Blick: Sein üppiger Bart wuchert bis zu seinen Jochbeinen hoch, und das bisschen Gesicht, das darüber zu erkennen wäre, versteckt er die meiste Zeit im Schatten seiner Schirmmütze. Doch Taylor präsentiert sich mit Spielwitz und Humor. In den Sound seiner Band, der aus den Boxen rollt wie ein Zug über die Schienen, streut er sein gefühlvolles Spiel ein. In einen Song lässt er die Melodie von Johnny Cashs „Riders in the Sky“ einfließen, einen anderen bricht er mittendrin ab, weil das Publikum nicht so mitgeht, wie er sich das wünscht. „Ich bin 10 000 Meilen gereist und ihr singt nicht mit“, beschwert er sich bierernst.
Das Publikum lässt sich nicht zweimal bitten, und spätestens als Taylor mit seiner Mundharmonika von der Bühne verschwindet und ein Ründchen durch die Menge dreht, findet das Blues-Festival seinen harmonischen Abschluss.
VON FRANK ZIMMERMANN, GRONAU
Westfälische Nachrichten